Vom Überblick zum Detail

Rebecca Köck

Trainingsplanung.

Lukas Höllrigl, im Olympiazentrum Innsbruck für Training und Leistungsdiagnostik zuständig, betreut neben Spitzensportlerinnen und -sportlern einiger Sportarten u.a. auch die ÖSB-Kaderschützinnen Nadine Ungerank, Olivia Hofmann und Rebecca Köck. Die Erstellung und permanente Reflexion von Trainingsplänen sind die Basis seiner Arbeit mit den Athletinnen und Athleten und der Grundstein auf dem Weg zum Erfolg.

Seit jeher strebt der Leistungssport nach Struktur im individuellen und erweiterten organisatorischen Rahmen um Leistungen punktgenau abrufen zu können und so die bestmögliche Performance am „Tag X“ zeigen zu können. So wurden einzelne Trainingseinheiten bereits in den 50er-Jahren von der Tschechoslowakischen Lauflegende Emil Zátopek erstmalig in Intervalle gegliedert, eine erste strukturierte Trainingseinheit im Ausdauertraining, das „Intervalltraining“, war geboren. Des Weiteren wurden erste längerfristige Trainingszyklen in der Planwirtschaft der ehemaligen UdSSR eingeführt. Lew Matwejew war hier die treibende Persönlichkeit und gilt somit als Begründer der Periodisierung im Sport. Es wurde vor allem in Olympiazyklen geplant, um für olympische Spiele in Höchstform zu sein.

Rahmentrainingsplan und Leistungsdiagnostik

Mittlerweile verfolgt eine Trainingsplanung natürlich weit mehr Ziele als im Vier-Jahres-Rhythmus in Topform zu sein. So wird von Trainerinnen und Trainern versucht die sportliche Entwicklung der Athletinnen und Athleten über verschiedene Zeiträume zu strukturieren. Eine Ausgangsbasis bietet hier der Rahmentrainingsplan der jeweiligen Sportarten: In diesem wird die langfristige Leistungsentwicklung vom Kindes- bis ins Höchstleistungsalter strukturiert und vorgegeben. Im Idealfall werden Rahmentrainingspläne von den jeweiligen Sportverbänden erstellt und den Trainerinnen und Trainern der einzelnen Leistungs- und Altersklassen zur Verfügung gestellt. In den Rahmentrainingsplänen werden Trainingsinhalte, Methoden sowie Umfänge und viele weitere Kennziffern definiert. Diese trainingssteuernden Größen sollten in der betreffenden Entwicklungsstufe eine definierte Ausprägung erreichen. Dies wird fortlaufend mittels Leistungsdiagnostiken und Trainingsanalysen überprüft.

Hier wird natürlich ersichtlich, dass eine lückenlose Leistungsdiagnostik für die Überwachung des Trainingsfortschrittes unerlässlich ist. Diese muss in spezieller Form für die Schützin und den Schützen am Schießstand, aber natürlich auch in allgemeiner sportmotorischer Form durchgeführt werden. Durch diese Vorgehensweise kann gewährleistet werden, dass Nachwuchssportlerinnen und Nachwuchssportler in den Entwicklungsstufen der Kaderpyramide nicht „durch den Rost fallen“ und sich auf dem richtigen langfristigen Weg befinden.

Das Trainingsziel in der Trainingsplanung

Es kann also festgehalten werden, dass jede Trainingsplanung mit einem Abgleich des aktuellen Leistungsniveaus mit dem Trainingsziel beginnt. Darauffolgend muss der lange Weg ans Trainingsziel in immer kleiner werdende Teilschritte heruntergebrochen werden. Man spricht von Trainingsperioden. Diese Perioden sind definiert durch die Trainingsinhalte, Umfänge, Intensitäten, aber auch Trainingsziele. Eine wichtige Aufgabe von Trainerinnen und Trainern hierbei ist es, die Realisierbarkeit der gewünschten Entwicklung im jeweiligen Zeitraum genauer zu betrachten und realistisch zu bewerten. Wenn beispielsweise unrealistisch hohe Ziele von den Athletinnen und Athleten verfolgt werden, sind Enttäuschungen vorprogrammiert, was der Motivation natürlich kaum zweckdienlich erscheint. Hier wird deutlich, dass wir uns in einem dynamischen Prozess befinden, welcher sich ständig kreislaufartig wiederholt.

Um sich jedoch nicht in zeitlich zu weit entfernten Trainingszielen zu verlieren, ist es unerlässlich, dass die Planung mit der groben Jahresplanung beginnt und immer kürzer werdend mit der einzelnen Trainingseinheit endet. Nur so kann der sprichwörtliche „große Berg“ vor dem man sich befindet in überschaubare Etappen heruntergebrochen werden. Mittlerweile werden diese Prozesse, auch am Olympiazentrum in Innsbruck, über fortschrittliche Softwaretools abgewickelt und auch überwacht.

Planung und Improvisation

Zusätzlich müssen in der modernen Trainingsplanung aber auch individuelle Gegebenheiten der Sportlerinnen und Sportler Berücksichtigung finden. So sollten beispielsweise schulisch belastende Phasen von Nachwuchssportlerinnen und -sportlern in der Trainingsplanung Berücksichtigung finden. Während des Trainingsprozesses wird dann laufend auf aktuelle Entwicklungen wie Krankheiten, Verletzungen oder sonstige unvorhersehbare Ereignisse Rücksicht genommen, wobei der ursprüngliche Plan als „roter Faden“ immer wieder die Richtung vorgibt. Eine solide Planung ist also die Grundlage für eine erfolgsversprechende Improvisation.

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 Lukas Höllrigl, MSc

Auszug aus dem ÖSB-Verbandsmagazin 10,9

www.schuetzenbund.at

LIKE A PRO – Ein Kohlenhydrat kommt selten allein

Like A Pro

Ein Kohlenhydrat kommt selten allein – Ernährungstipps für den Ötztaler Radmarathon

Text: Jannis Braun, Fotos: Stefan Gapp/Anna Lang

Alle Ötztaler-Teilnehmer:innen werden trainiert haben. Und sie alle werden bis in die Haarspitzen motiviert sein, sich ihren Traum zu erfüllen. Doch werden sie sich in der Vorbereitung auch mit dem Thema Ernährung auseinander gesetzt haben? 

Christian spricht aus, was viele Rennradfahrer:innen kennen: „Diese ganzen Müsliriegel und Zeugs, ich kann‘s nicht mehr sehen“. Genau wie Anna ist Christian gerade in der Phase für sich herauszufinden, wie er das Vorhaben Ötztaler Radmarathon ernährungstechnisch unterstützen kann. Als Zuhörer könnte man meinen, Christian tut sich als Laie verständlicherweise einfach etwas schwer, wenn das komplexe Thema Ernährung – nun ja – auf den Tisch kommt. Er selbst drückt es mit seiner sympathischen Art, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, etwas drastischer aus: „Ich bin da schon eine Flasche und relativ ideenlos in der Hinsicht. Wenn ich da zwei Pfannen stehen habe, aber keine vorgeschriebenen und abgewogenen Zutaten, bin ich völlig überfordert.“

Eine gewisse Basis ist aber da, denn Christian achtet darauf, „dass ich mich möglichst ausgewogen ernähre, aber ich verfolge da bisher kein ausgeklügeltes System. Ich kann das jetzt im Alltag nicht zur riesen Wissenschaft machen, da bin ich zeitlich und nervlich ja komplett am Ende“. Bevor das passiert, haben wir uns mit einer Expertin getroffen, die die Ernährung tatsächlich zur Wissenschaft gemacht hat und unseren beiden Schützlingen mit ihrer Expertise ein bisschen unter die Arme greift. 

Der „Ötztaler“ feiert dieses Jahr seinen 40. Geburtstag. Wenn es die Situation am 29. August 2021 zulässt, zählen auch die beiden Hobbyrennradfahrer Anna und Christian zu den Geburtstagsgästen. Gemeinsam mit dem Olympiazentrum Tirol begleiten wir das Duo. Vom ersten Medizinischen TÜV bis – so ist es ihr Traum – über die Ziellinie in Sölden.


Ein unterschätzter Faktor

Lisa Totschnig hat Ernährungswissenschaften und Sportwissenschaft studiert und seit zwei Jahren am Olympiazentrum Tirol tätig. Sie ist überzeugt, „dass man mit einer bewussten, zielorientierten Ernährung viel bei der Leistung rausholen kann.“ Oft ist der Einfluss der Ernährung auf die Leistungsfähigkeit noch unterschätzt.

Lisa betreut am Olympiazentrum rund 90 Athlet:innen aus verschiedenen Sportarten in allen Aspekten der Sporternährung. Zumeist klärt sie Fragen zu Sportnahrungsprodukten, werter Ernährungsprotokolle aus und arbeitet Wettkampfstrategien aus. „Ernährungstechnisch stellt dich der Ötztaler Radmarathon vor eine besondere Herausforderung. Es gibt wenige Sportwettbewerbe, wo du wirklich 10 Stunden unterwegs bist“, betont Lisa. Entsprechend braucht es dafür eine gut überlegte Ernährungsstrategie. Aber auch im Vorfeld des Wettkampfes kann man einiges tun, um am Tag X die bestmögliche Leistung abzurufen.

Mit aller Macht gegen den Hungerast

Bisher lief es rund im Anstieg zum Kulminationspunkt der Ausfahrt. Und ganz plötzlich scheint man zu stehen. Die Signale des schleichend eintretenden Leistungsabfall wurden ignoriert. Der Körper schreit auf. In Form einer streikenden Muskulatur. Oder mit anderen Mangelerscheinungen wie Schwindel, Übelkeit oder zitternden Händen. Nichts geht mehr. Dabei hat man doch eigentlich so gut trainiert. Aber offenbar nicht ganz so gut gegessen. Die Muskulatur schreit „Kohlenhydrate, bitte!“ und der ganze Körper antwortet „Hungerast!“. Viele Radfahrer haben dieses Stadium schon erlebt, das es für Anna und Christian während des Ötztalers unbedingt zu verhindern gilt.

„Kohlenhydrate sind das Benzin der Rennradfahrer. Wie ein Auto bleiben sie einfach stehen, wenn der Kohlenhydrate-Tank leer ist.“

Lisa Totschnig

„Während des Rennens haben Kohlenhydrate definitiv den höchsten Stellenwert der Makronährstoffe“, unterstreicht Lisa. Sie sind das Benzin der Radsportler:Innen, „genau wie ein Auto bleiben Rennradfahrer einfach stehen, wenn der Kohlenhydrate-Tank leer ist“. Schließlich kann ein Auto noch so viel PS haben, ohne Benzin bringt es diese nicht auf die Straße. „Bei moderatem Training ist ein leerer Kohlenhydrat-Tank kein riesiges Problem, der Körper greift auf Fettreserven zurück“, erklärt Lisa. Ist die Belastungsintensität wie beim Ötztaler Radmarathon allerdings enorm, ist die Energieversorgung über Fette keine Alternative. Der Vorgang der Energiegewinnung erfolgt zu langsam, „man fährt unweigerlich in einen Hungerast hinein“.

Ziel der ernährungstechnischen Wettkampfstrategie ist es deshalb, bereits mit möglichst vollem Kohlenhydrat-Speicher in den Wettkampf zu gehen und dessen Füllniveau während des ganzen Rennens konstant weit oben zu halten. 


Schaufeln, was der Löffel hält

Abhängig von Körpergröße, Geschlecht und Stoffwechsel liegt der Energieverbrauch beim Ötztaler schnell im hohen 5-stelligen Bereich. „Es ist unmöglich, diesen Energiebedarf allein während des Rennens zu decken“ stellt Lisa klar. Umso wichtiger ist es vor dem Rennen das Prinzip der Superkompensation anzuwenden, um mit vollen Glykogen-Speichern ins Rennen zu gehen.

Etwa eine Woche vor dem Ötztaler Radmarathon leeren kurze, harte Trainingseinheiten und eine gleichzeitig geringe Kohlenhydratzufuhr die Glykogenspeicher im Körper komplett aus. Drei, bis vier Tage vor dem Rennen sollten Trainingsumfang und -Intensität dann zurückgestuft werden. Nun beginnt das große Carb-Loading. Das Motto: „So viele Kohlenhydrate schaufeln wie es geht. Nudeln und Reis. Von früh bis spät.“ Die Glykogenspeicher sind dann über das normale Maß hinaus gefüllt.

Die Basis für das Rennen ist geschaffen. Die Gefahr, schnell den Tiefpunkt zu erreichen, wenn die Kohlenhydrat-Aufnahme während des Rennens einmal verpasst wird, verringert sich.

„Das Rennen selbst sorgt schon dafür, dass man nicht mit überschüssigen Energie-Reserven ins Ziel kommt. Das Ziel ist es deshalb, nie zum Tiefpunkt abzurutschen.“

Lisa Totschnig


Nicht die Zeit für Experimente

Während des Rennens heißt es dann, mit allen (Lebens-)Mitteln versuchen, den Tank so gut wie es geht zu füllen. „Dabei kann man sich an einer Zufuhr von 90 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde orientieren“ empfiehlt Lisa. 

Vor meinen Augen tauchen schon die Labestationen auf der Strecke auf. Kuchen, Semmeln, Bananen, Suppen, Sportgetränke in Hülle und Fülle. Lisas Stimme unterbricht meine Essensträume. Sie mahnt, es wirklich mit allen Lebensmitteln zu probieren. Zu sensibel ist der Magen-Darm-Trakt bei einer Belastung auf Niveau des Ötztalers. Abwechslung ist aber dennoch willkommen bzw. bitter notwendig. Denn irgendwann kriegt man eben einfach keinen Riegel mehr runter. „Aber bitte nur mit Lebensmitteln, die man kennt und in der Kombination beim Training schonmal ausprobiert hat“, so Lisas eindringlicher Rat. 

Am Anfang des Rennens ist es wichtig, mit fester Nahrung eine Basis zu schaffen. Die ersten paar Stunden empfiehlt Lisa deshalb mit Riegeln, oder selbst zubereitetem Reiskuchen, Bananen- oder Dattelbrot zu starten, „dann kann mal die Banane kommen und dann erst mit Gels starten“. Gerade bei den Gels gilt es deren Verträglichkeit zu testen. „Wenn ich mich 10 Stunden nur von Gels ernähre, ist es ganz natürlich, dass der Magen dann sagt, ‘halt, stop! Mag ich nicht!‘.

Natürlich haben die Labestationen dennoch ihre volle Berechtigung. Nicht alle Teilnehmer:innen können auf den Luxus zurückgreifen, ein Team an der Strecke zu haben, das einen immer wieder mit Nachschub an Riegeln & co versorgt. In dem Fall ist man auf die Lebensmittel angewiesen, die der Veranstalter zur Verfügung stellt.

„Wenn man mitten im Rennen anfängt mit neuen Sportnahrungsprodukten zu experimentieren, finde ich krasser, als wenn jemand mit einem neuen Rad startet.“

Lisa Totschnig

Lisa rät, sich einige Zeit vor dem Rennen unbedingt darüber zu informieren, was für Sportnahrungsprodukte an den Labestationen ausgegeben werden und diese im Trainingsalltag zu testen, um Ernährungsgewohnheiten zu entwickeln. „Sporternährungsprodukte setzen sich alle aus unterschiedlichen Inhaltsstoffen und Nährwerten zusammen. Genau wie unser ganzer Körper während des Ötztalers an seine Grenzen kommt, erreicht auch speziell unser Magen-Darm-System sein Limit und reagiert in diesem Zustand bei vielen Personen empfindlich auf ungewohnte Nahrung. 

Lisa zieht gerne den Vergleich zu der Situation, die vielen widerfährt, die ihren Urlaub in einem Land mit fremder Küche verbringen. Und die ersten Tage erstmal mit Magen-Darm-Problemen verbringen. Natürlich betreffen solche Probleme nicht jeden, aber um ihren Punkt nochmal zu verdeutlichen, macht sie darauf aufmerksam, dass man in einem Wettkampf ja auch nicht auf einmal ein neues Rad, neue Laufschuhe, oder eine neue Sattelhöhe ausprobiert. Ein beleidigtes Magen-Darm-System gefährdet die ganze Leistungsfähigkeit von Körper und Kopf, ist also entscheidend für den Erfolg des Rennens.

Um die anvisierte Zufuhr von 90 Gramm pro Stunde zu halten, sind speziell entwickelte Sportgetränke hilfreich. Diese gibt es in extrem hochdosierten Variationen und erfüllen drei Notwendigkeiten in einem Lieferanten: Kohlenhydrate, Elektrolyte und Flüssigkeit. Obendrauf nimmt das Pulver, mit dem man sich das energetische Flüssig-Benzin unterwegs zusammenbrauen kann, wenig Stauraum ein.

Ob flüssig, oder fest, letztendlich hat Lisa in der Praxis festgestellt, dass man am Wettkampftag gar nicht genug Kohlenhydrate zuführen kann: „Das Schlimmste was passiert, ist, dass man es am Abend wieder ausscheidet“. Und das ist ja nun wirklich nicht so schlimm, wie mitten im Timmelsjoch-Anstieg zu stehen, ob als Radfahrer ohne Energie, oder in einem Auto ohne Benzin. 


Die letzten Stunden vor dem Ötztaler

Die Ötzaler-Anwärter:innen treten die Jagd nach ihrem Traum an, während der Großteil der Menschen noch in ganz anderen Träumen verweilt. Die frühe Startzeit bringt einige Ernährungsfragen mit sich. Sollte ich direkt vor dem Rennen noch Frühstücken? Wenn ja, was? Sollte ich am Vorabend noch spät mit aller Macht die letzten Speicherkapazitäten füllen?

Man sollte auf jeden Fall in der Früh vor dem Start noch etwas Festes zu sich nehmen. „Ein 10-Stunden-Rennen ohne Frühstück anzugehen, ist für die Energie-Bilanz nicht förderlich“. Es muss nicht das Weizensemmel sein. Ein Porridge oder ein Bananen-Haferflocken-Topfen-Shake sind gute Alternativen. Von schwer Verdaulichem wie ein Vollkornbrot mit Käse und Schinken würde Lisa abraten. Der zeitliche Abstand zum Rennen ist ebenfalls zu berücksichtigen, sodass im Bestfall noch ein Toilettengang möglich ist, bevor man den langen Ritt über Kühtai, Brenner, Jaufenpass und Timmelsjoch in Angriff nimmt. Leistet der Magen-Darm-Trakt zu Beginn des Rennens Schwerstarbeit bei der Verdauung, fließt das Blut in den Verdauungstrakt und fehlt so in der Muskulatur. Um 22 Uhr noch so viel wie möglich essen und eine Stunde später ins Bett gehen, ist laut Lisa keine empfehlenswerte Taktik. Die Schlafqualität nimmt mit vollem Magen ab, „wenn man um 22 Uhr ins Bett geht, sollte man spätestens um 19 Uhr die letzte Mahlzeit zu sich nehmen. Ansonsten kommt der Körper schwer in tiefe Schlafphasen.“

Es kann auch helfen, den Essensrhythmus in den Tagen vor dem Ötztaler, schon einmal entsprechend anzupassen.


Koffein als legales Doping

Ob Kohlenhydrate enthalten sind oder nicht, eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme ist beim Ötztaler ebenfalls essentiell für ein erfolgreiches Rennen. Abhängig von individuellem Flüssigkeitsbedarf und vor allem der Lufttemperatur, ist es schwer, eine allgemeine Kennzahl zu definieren. Als Richtwert können 500-750ml pro Stunde herangezogen werden. Bei heißen Temperaturen steigt dieser Mindestbedarf drastisch an. Während bei kalten Temperaturen der natürliche Drang nach Flüssigkeit geringer ist, muss man sich aber auch dort in Zweifel mit Hilfe von Tricks wie warmen Getränken in Thermosportflaschen disziplinieren und ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen.

Wird der Körper nicht mit genug Flüssigkeit versorgt, kann er nicht ordentlich funktionieren. Beanspruchen wir unsere Muskulatur, entsteht im Körper Wärme. Schwitzen resultiert darin, dass der Körper gekühlt wird, aber auch darin, dass große Mengen Flüssigkeit und damit auch wichtige Spurenelemente und Elektrolyte wie Magnesium oder Natrium den Körper verlassen. Werden diese Verluste nicht kompensiert, gerät der Organismus in Gefahr zu dehydrieren: Die Körpertemperatur und Herzfrequenz steigen. Von Konzentrationsmängeln, Krämpfen und Schwindelanfällen bis zum kompletten Kreislaufkollaps können die Folgen für den Ausgang eines Wettbewerbs schwerwiegend sein.

Wie bei der Nahrungsaufnahme kann auch hier im Vorfeld Abhilfe geleistet werden, indem Teilnehmer:innen am Vortag viel trinken. Es reicht nicht, sich kurz vor Beginn des Rennens literweise Wasser runterzuschütten. So viel Wasser kann der Körper in kurzer Zeit nicht aufnehmen. Zwangsweise wird der erste Zwischenstopp am Straßenrand nicht lange auf sich warten lassen.

Koffein hat, überlegt eingesetzt, einen (legalen) leistungsfördernden Effekt, den man sich zu Nutzen machen kann. Da Koffein aber auch einen Gewöhnungseffekt hat, profitiert am Wettkampftag spürbar nur, wer vorher mindestens drei Tage, besser noch eine ganze Woche auf Koffein verzichtet. „Aber erzähl einem Rennradfahrer mal, dass er eine Woche kein Kaffee trinken soll“, fügt Lisa lachend hinzu. Wer während des Rennens auf Koffein setzt, sollte eine regelmäßige Zufuhr anstreben, sonst erlebt man sich für eine Weile zwar am Gipfel der Koffein-Gefühle, anschließend leider aber in einem kontraproduktiven Müdigkeitstief.


Spotlight auf die Proteine

Kohlenhydrate mögen zwar die prominenteste Rolle im Ausdauersport einnehmen, sind aber auf keinen Fall Alleinunterhalter im Schauspiel der Makronährstoffe, stellt Lisa klar. Auch die Proteine haben sich ihren Auftritt im Spotlight verdient. 

Wurde der Körper einer starken Belastung ausgesetzt, bemüht er sich darum, in Mitleidenschaft gezogene Strukturen zu reparieren und Energiespeicher wieder aufzufüllen. Gezielt gelegte Ernährungsmaßnahmen unterstützen den Regenerationsprozess.

„Entscheidend ist dabei, den richtigen Zeitpunkt – das sogenannte „open window“ – nicht zu verpassen“, erläutert Lisa. Dieses öffnet sich direkt nach dem Training und lässt am liebsten eine Kombination aus Proteinen und Kohlenhydraten herein. Proteine unterstützen vor allem die Regeneration der Muskulatur. Die Kohlenhydrate füllen die Glykogendepots des Körpers für neue Energieleistungen wieder auf. Verpassen Sportler das open window, bedient der Körper sich an körpereigenen Strukturen. Dies gilt es zu verhindern. Auch wenn es das Ziel ist, abzunehmen, sollten direkt nach dem Sport Nährstoffe zugeführt werden, um den Verlust von Muskulatur zu verhindern. Für die Gewichtsabnahme ist die Bilanz von Energieaufnahme und -Verbrauch über einen ganzen Tag entscheidend, nicht der schädliche Verzicht nach einer temporären Belastung. Möchten Finisher nach dem Ötztaler nicht tagelang mit dem Muskelkater des Lebens auf der Couch liegen, können sie schon unmittelbar nach dem Rennen beginnen, bewusst Proteine einzunehmen und so die anschließende Regeneration einleiten.


Rezepte für das Ernährungspuzzle

Ohne sich mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen, kann der Traum vom erfolgreich absolvierten Ötztaler Radmarathon schnell platzen. Was und wieviel wir essen und trinken, hat Einfluss auf den Trainingsfortschritt in der Vorbereitung, auf den Regenerationsprozess, mögliche Verletzungen und letztendlich die Leistungsfähigkeit während des Wettbewerbs. Kleinigkeiten in der Ernährung können während des Rennens darüber entscheiden, ob man über sich hinauswächst oder der Ötztaler zur Qual wird. „Jeder Teilnehmer hat hart trainiert, aber hat sich auch jeder gewinnbringend ernährt?“ fragt Lisa am Ende des Gesprächs in den Raum.

„Ich werde in den nächsten Tagen auf jeden Fall weiter fleißig daran tüfteln, was mir auf dem Rad am besten tut und schmeckt,“ beschließt Anna in voller Ernährungs-Euphorie. Seid ihr dabei?

Wer sich so ausführlich mit der Ernährung beschäftigt und bis hier gelesen hat, hat sich mindestens ein paar Rezepttipps von Lisa verdient: https://sport.tirol/de/serien/oetztaler-radmarathon/like-a-pro-4.html


Text: Jannis Braun, Fotos: Stefan Gapp/Anna Lang

LIKE A PRO – Der medizinische TÜV

Like A Pro

Der medizinische TÜV – von der Sporttauglichkeit bis zum Schwellenwert.

Text: Jannis Braun, Fotos: Stefan Gapp

Es ist nicht der in die Jahre gekommene Wagen, der am Institut für Sport-, Alpinmedizin und Gesundheitstourismus (ISAG) auf den Prüfstand gestellt wird. Mit der Hoffnung, dass er verkehrstüchtig ist und man ihn ein weiteres Jahr den Zirler Berg hochquälen darf. Es ist der eigene Körper, der dort auf Herz und Nieren geprüft wird. In der Hoffnung, dass er aus medizinischer Sicht sporttauglich ist und Anna und Christian sich bedenkenlos ein ganzes Jahr quälen dürfen – für ihren Traum vom Ötztaler. 

Ich liebe meinen Renault Twingo. Baujahr 2009. 52 Kilowatt geballte Leistung. An diesem Tag schlägt seine Stunde der Wahrheit. Der jährliche Termin beim TÜV steht an. Es könnte knapp werden. Vieles steht auf dem Spiel. Ich male mir aus was passiert, wenn meiner nicht mehr ganz makellosen Schönheit auf vier Rädern die Verkehrstauglichkeit abgesprochen wird. Ein neuer Wagen bedeutet der Verlust unzähliger Erinnerungen. Und noch mehr Euros. Nie wieder bei strahlendem Sonnenschein die Nebelscheinwerfer einschalten, damit der Wagen wenigstens ein bisschen Coolness ausstrahlt. Nie wieder SUVs auf dem Weg von Innsbruck nach Seefeld ausbremsen. Horror-Szenario. Eine Welt würde zusammenbrechen.

Okay, ich gebe zu, bei Anna und Christian steht heute noch etwas mehr auf dem Spiel. Der Zufall wollte es so, dass zeitgleich auch ihre Stunde der Wahrheit schlägt. Der „Sportmedizinische TÜV“ am ISAG steht auf dem Plan. 

Der „Ötztaler“ feiert dieses Jahr seinen 40. Geburtstag. Wenn es die Situation am 29. August 2021 zulässt, zählen auch die beiden Hobbyrennradfahrer Anna und Christian zu den Geburtstagsgästen. Gemeinsam mit dem Olympiazentrum Tirol begleiten wir das Duo. Vom ersten Medizinischen TÜV bis – so ist es ihr Traum – über die Ziellinie in Sölden.

Ich denke an das bevorstehende TÜV-Ergebnis des Twingos und kann gut nachvollziehen, dass Anna vor dem Besuch im Testlabor in Natters „voll den Bammel hat“. Für sie ist es der erste sportmedizinische Test. „Da hauts mir sicher voll die Pumpen auffi und ich werde da voll krepieren“, ist sie überzeugt. Sarkastische „viel Spaß“-Nachrichten und Warnungen ihrer Freunde vor der Spiroergometrie, das angeblich „soo grausige“ Herzstück des Tests, zeigen Wirkung. Fragen tauchen in Annas Kopf auf. Fragen, an die Leistungssportler ohne konkreten Anlass keine Gedanken verschwenden. Was würde passieren, wenn das Ärzteteam medizinische Auffälligkeiten ans Licht bringt, die im (Sport-)Alltag bisher verborgen blieben? Bekomme ich das Okay für den Ötztaler oder ist an diesem Punkt bereits Schluss? Mit dem Projekt. Generell mit dem Leistungssport.

 

Eine Investition in die Gesundheit

Trotz allem was auf der Verlustseite steht, sehe ich meine Pflicht ein, den TÜV-Termin für den Twingo wahrzunehmen. Sollten zentrale Funktionen versagen, wird dieses so harmlos dreinblickende Auto zu einer Bedrohung. Für mich, aber auch für andere Verkehrsteilnehmer. Achterbahnen, Aufzuganlagen, Autos: Der TÜV prüft alles auf Fehlfunktionen, die in Stillstand schwer zu erkennen sind. Der TÜV bringt Sicherheit, so das Versprechen. Verstanden, der TÜV will mir nicht nur mein geliebtes Auto nehmen und damit auch noch Geld verdienen. 

Univ. Prof. Dr. Wolfgang Schobersberger, Leiter des ISAG, bezeichnet das Testangebot am Institut gerne als „sportmedizinisches TÜV“. Der Kosename birgt eine Message: Wir geben dir mit unserer Sporttauglichkeitsprüfung Sicherheit und nehmen dir nicht irgendwas weg. Zwischen den Zeilen merke ich, dass Wolfgang Schobersberger um das Image der sportmedizinischen Tests kämpft. Sich für eine verantwortungsvolle Einstellung der Sportler gegenüber ihrer Körper und der Sportverbände gegenüber der Gesundheit ihrer Schützlinge einsetzt. Und sich wünscht, dass der Test als Chance und Wohl, nicht als Bedrohung oder Übel wahrgenommen wird.

Auch für die Athleten der großen Österreichischen Verbände, die das Team des ISAG regelmäßig untersucht, steht viel auf dem Spiel. Es geht um die Erlaubnis ihrer Berufsausübung als Profisportler und damit um Sponsoringverträge und viel Geld. „Wir haben hier eine sehr schwierige, verantwortungsvolle Aufgabe. Mit ein paar Ausnahmen sind alle Athleten gesund und wir müssen die Stecknadel im Heuhaufen suchen“. Es geht darum, den Athleten zu schützen „der etwas hat, was keiner weiß, oder der etwas weiß, es aber keinem sagt“. Aus Sorge um seine berufliche Zukunft als Spitzensportler. Es sei wie bei scheinbar makellosen, hochtourigen Neuwagen, die fast immer halten, was sie von außen versprechen. Leider gibt es auch unter Spitzensportlern Einzelfälle, bei denen ein Defekt des Motors bzw. Herzkreislauf- oder Stoffwechselsystems erst unter voller Belastung zu Vorschein tritt. „Manchmal sind wir dann in der Rolle der bösen Buben oder Mädels. Aber die meisten danken uns, wenn wir etwas gefunden haben, was auch fatal hätte ausgehen können.“ 

Am Ende des sportmedizinischen Tests stehen zwei mögliche Ergebnisse. Überwiegend wird die Sporttauglichkeit attestiert. Tritt ein auffälliger Befund auf, werden Sportler zu Experten geschickt, um eine zweite Meinung über die vermeintliche Sportuntauglichkeit einzuholen. Sporttauglich bedeutet am ISAG, ob Athleten ihren Sport aus medizinischer Sicht ohne Bedenken ausüben können. Es gilt zu differenzieren: Während eine angeborene Herz-Rhythmusstörung für einen Ausdauersportler lebensgefährlich sein kann, kann ein Profi-Billardspieler weiterhin seinen Beruf ausüben. Die Entscheidung, ob ein Sportler von der Leistung her für eine bestimmte Sportart tauglich ist, fällt in den Kompetenzbereich der Trainer und Verbände. 

Ob Spitzen- oder Hobbysportler, der medizinische TÜV am ISAG läuft stets nach demselben Schema ab. In beiden Fällen wird geschaut, ob es internistische Auffälligkeiten gibt, wenn Probanden an ihre Leistungsgrenze gehen. Schobersberger bemängelt, dass gerade ambitionierte Hobbysportler das Angebot der sportmedizinischen Tests nicht ausreichend annehmen. Oftmals herrscht die Devise vor, „solange ich kein Problem habe, brauche ich keinen Arzt“. Die Bereitschaft, hohe Summen für Material auszugeben, übersteigt die Bereitwilligkeit, in die Bestätigung der eigenen Gesundheit zu investieren. In Schobersbergers Augen eine fragwürdige Priorisierung, die in dieser Ausprägung auch im Radrennsport Gang und Gebe sei.

Mit Nachdruck empfiehlt er jedem Ötztaler-Radmarathon-Aspiranten, vor Beginn der Vorbereitung einen Gesundheitscheck durchzuführen. Als Gegenleistung bekommen Sportler ihren aktuellen Leistungsstand abgebildet, eine Trainingsberatung sowie vor allem die wohltuende Rückversicherung, dass aus internistischer und orthopädischer Sicht nichts gegen die Aufnahme eines intensiven Trainings spricht. Das Preis-Leistungs-Verhältnis (siehe Infobox) verdeutlicht, dass es dem ISAG dabei nicht um finanzielle Einnahmen geht, von denen sie als Institution des Landes ohnehin unabhängig sind.

 

In vier Stufen zur Sporttauglichkeit

Abgastest, Funktion des Fahrzeugkatalysators, Luftfilterwechsel beim Twingo, check!

Das Kurbeln des Ergometers, mechanische Pieptöne, die Lieblingsmusik unserer beiden Athleten und Anfeuerungsrufe füllen den Laborraum im ISAG. Das Herzstück des sportmedizinischen TÜVs, die Spiroergometrie ist wortwörtlich in vollem Gange. Christian sitzt schweißgebadet auf dem Ergometer. Von seinem Körper verlaufen Schläuche in verschiedene Messgeräte, die u.a. ein Belastungs-EKG, Blutdruckwerte und Atmungskurven auf mehrere Bildschirme zaubern. Alle 90 Sekunden erhöht sich der Widerstand, gegen den er antritt um 30 Watt. Im selben Abstand entnimmt eine Nadel Blutproben, um Christians Laktatkonzentration im Blut zu ermitteln. Mit jeder Belastungsstufe werden Parameter wie die Sauerstoffaufnahme und die CO2- Produktion generiert, und damit die Belastbarkeit seiner Lunge und seines Herzkreislaufsystems geprüft. Auffälligkeiten können u.a. auf Lungenfehlfunktionen, asthmatische Erkrankungen, Stoffwechselprobleme oder Herz-Rhythmusstörungen hinweisen. 

Irgendwann helfen dann auch die „geht schon, geht schon“-Rufe von Anna nichts mehr. Die Kurbel hört auf sich zu drehen, die Beinmuskulatur wird nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt, Christian hat die maximale Leistungsgrenze erreicht. Und lehnt mit letzter Kraft dankend eine zweite Runde ab. Das große Finale ist geschafft. 

Airbag-Funktion beim Twingo, check!

Eine Stunde vorher herrscht noch Ruhe im Raum. Christian sitzt entspannt auf einem Hocker. Eine Klammer verschließt seine nasalen Atemwege und ein Messgerät liegt wie eine übergroße Zigarette in seinem Mund. Da sind wir auch schon beim Thema. Die Spirometrie untersucht die Lungenfunktionen im Ruhezustand des Körpers, die Vorstufe der Spiroergometrie sozusagen. „Hol so tief Luft wie es geht und knall sie bis zum Ende aussi“ weist der Diagnostiker Herbert Sailer Christian an. Der daraufhin so viel und lange, wie seine Lunge hergibt, Luft in das Lungenvolumenmessgerät befördert. „Ich bin der beste auf meinem Niveau“ kommentiert Christian das Ergebnis mit einem Augenzwinkern. „Die Doktorin wird schon zufrieden sein“ erwidert Herbert nüchtern. Das ist sie. Die Menge der ein- und ausgeatmeten Luft, sowie die Fließgeschwindigkeit der Luft bewegen sich bei Christian in regulären Bahnen. Keine Lungenfunktionsprobleme oder asthmatische Atemwegserkrankungen bei unseren beiden Athleten im Ruhezustand.

Motorfunktionen, Einspritzpumpe, Elektronik beim Twingo, check! 

Weiter geht’s im Programm. Gleichmäßige Herzspannungskurven zeichnet der Elektrokardiograf auf den Display. Christians Herz schlägt beständig. „Es gibt gutartige Rhythmusstörungen und fast bei jedem Menschen stolpert das Herz im Schlaf oder untertags einmal“, erklärt Schobersberger. Es gibt aber eben auch einen ganzen Katalog an gefährlichen Rhythmusstörungen, die im schlimmsten Fall dazu führen, dass das Herz eines Athleten unter hoher Belastung keine Leistung mehr erbringt. Bei Anna und Christian sind keine Anhaltspunkte für Herz-Rhythmus-Störungen zu erkennen, die bei Belastung gefährlich werden könnten. Ihre Motoren laufen einwandfrei.   

Druck und Siedepunkt der Bremsflüssigkeit beim Twingo, check!

Gelassen liegt Anna auf der Behandlungsbank. „Geht’s dir auch gut? Wird dir nicht schwindelig beim Aufstehen?“ fragt Herbert etwas überspitzt aufgrund ihres niedrigeren Blutdrucks etwas überspitzt. Schlägt das Blutdruck-Messgerät extrem in eine Richtung aus, gibt es ernsthaften Anlass zur Sorge. Ein überproportionaler Anstieg oder Abfall des Blutdrucks im Verhältnis zur Belastung wäre eine Gefährdung des Herz-Kreislauf-Systems und somit auch ein Befund, der zur Sportuntauglichkeit führt. Kein Grund zur Sorge. Die anfänglichen Bedenken und Aufgeregtheit haben sich bei Anna schon lange in Neugier und Interesse an den Funktionen des eigenen Körpers gewandelt. Sie ist einfach nur tiefenentspannt.

Jetzt ist aber auch bei Anna Schluss mit Ruhe und der Belastungsmodus wird eingeschaltet. Alle Parameter werden bei ihr jetzt gemessen, um belastungsspezifische Fehlfunktionen auszuschließen. 

 

Das Spiel mit den Schwellenwerten

Darüber hinaus werden bei der „Spiro“ sportwissenschaftliche Daten generiert, die Annas und Christians aktuelle Leistungsfähigkeit aufzeigen. Lukas Höllrigl, Leistungsdiagnostiker am Olympiazentrum Tirol und Annas und Christians Trainer während des Projekts, fischt vor allem Laktatwerte und Atemparameter aus der Datenflut. Diese geben ihm Aufschluss über Stoffwechselvorgänge im Körper, bei unterschiedlichen Belastungsstufen. „Laktat bildet sich im Muskel, sobald der Sauerstoffbedarf zur Energiegewinnung die Sauerstoffaufnahme überschreitet“ erklärt Lukas. Der Körper schaltet an dieser Schwelle in den anaeroben (sauerstofflosen) Bereich um, gewinnt von da an Energie aus dem Prozess, in dem Zucker in Milchsäure und das Abfallprodukt Laktat (Salz der Milchsäure) umgewandelt wird. Irgendwann wird mehr Laktat produziert als der Körper abbauen kann und der Muskel übersäuert aufgrund der hohen Konzentration an Milchsäure. Die maximale Leistungsgrenze ist erreicht und kann nur für einen kurzen Augenblick gehalten werden, bevor der Muskel komplett ermüdet. 

Mittels der Daten aus dem sportmedizinischen Test kann Lukas also die anaerobe Schwelle von Anna und Christian ermitteln. Je nach Trainingszustand erreichen sie diese bei unterschiedlicher Herzfrequenz bzw. sportlicher Leistung (in Watt). Je weiter diese Schwelle und Werte durch gezieltes Training steigen, umso länger können Anna und Christian beim Ötztaler Radmarathon eine höhere Leistung treten.

Außerdem ermittelt Lukas aus den Messdaten vergleichbare Parameter wie die maximale Leistung pro Kilogramm Körpergewicht in Watt oder den VO2-Max Wert: Die Menge an Sauerstoff in Milliliter, die der Körper pro Minute und Kilogramm Körpergewicht bei maximaler Leistung „verstoffwechseln“ kann. Definierte Laktatleistungsschwellen (meistens aerob, anaerob, maximal) ermöglichen es ihm zudem, die Intensität von Trainingseinheiten zu beschreiben und Fixpunkte festzulegen: „Beziffern wir zum Beispiel die anaerobe Schwelle mit 100 % kann ich Anna und Christian dann sagen, sie sollen heute eine Intervalleinheit im Bereich von 105 %  ihrer anaeroben Schwelle oder ein Grundlagenausdauer-Training im Bereich von 60 % der Schwelle durchziehen, orientiert an ihrer Herzfrequenz oder Wattanzahl.“ Auf diese Weise kann Lukas Trainingsintensitäten individuell auf die beiden Athleten relativieren und Trainingspläne entsprechend ihrer starken und schwachen Trainingsbereiche (z.B. Grundlagenausdauer, Maximalleistung) zusammenstellen. 

Christian begeistert die Möglichkeit, seine Leistungsfähigkeit basierend auf sportwissenschaftlichen Parametern zu erfassen und mit gezieltem Training an das Optimum zu bringen: „Mein Fitnesszustand beruht jetzt nicht mehr nur auf ein Gefühl, sondern auf Zahlen. Und es ist super cool, dass wir mit Hölli da jemanden haben, der uns verständlich erklären kann, warum und wofür wir das alles machen“. Um noch hinterher zu schieben, „dann muss ich die ganzen Daten nicht komplett verstehen, ich bin ja kein Wissenschaftler!“. Das kann ich nachvollziehen. Ich bin ja auch kein KFZ-Mechaniker und verstehe nicht bis ins letzte Detail, was der Siedepunkt der Bremsflüssigkeit mit der Bremswirkung zu tun hat. Dafür gibt es ja Mechaniker, die aus meinem Twingo das Optimum an Bremsleistung herausholen. 


Am Ende bleibt ein gutes Gefühl

Am Ende der „Spiro“ strahlt Anna über das ganze Gesicht. Obwohl auch sie gerade Unmengen an Sauerstoff verstoffwechselt hat und den hohen Laktatwert in ihrer Beinmuskulatur spürt: „So dramatisch war’s jetzt gar nicht. Irgendwann wollen deine Haxn einfach nicht mehr und das wars dann. Aber: Überstanden!“

Kurz darauf bekommen Anna und Christian im Nachgespräch mit der Fachärztin für innere Medizin, Lydia Pesserer, ihr medizinisches Pickerl aufgeklebt. Der gewünschte Abschluss eines erkenntnisreichen Tages. Es sei schon ein lässiges Gefühl, „wenn die Ärztin einem dann sagt, dass man gesundheitlich fit und uneingeschränkt leistungssporttauglich ist“. Anna weiß nun, dass sie sich „mit gutem Gewissen und ohne Bedenken ein hartes Training eini hauen kann und ich meinem Körper dabei nichts Schlechtes tue“. Auch das kann ich verstehen. Mit der Nachricht, dass mein Twingo mit leichten Mängeln die Verkehrstauglichkeit bestätigt bekommen hat, löst sich eine gewisse Anspannung. 

Am nächsten Tag sitzen Anna, Christian und ich in meinem frisch geprüften Auto. Alle mit einem guten Gefühl. Der Twingo kämpft sich auf dem Weg zum Loipeneinstieg in Seefeld tapfer den Zirler Berg hoch. Die Drehzahl ist am Anschlag, der Motor schreit, kein Problem. Auf der Loipe pumpen unsere Herzen und unsere Lungen schnappen nach Luft, kein Problem. Sorry liebe SUV-Fahrer. Sorry liebes Teilnehmerfeld. Ötztaler wir kommen! Unaufhaltsam. Hoffentlich.

Text: Jannis Braun, Fotos: Stefan Gapp